Wie es dazu kam

Meine Geschichte mit Intrasonanz, Creative Spiritual Care und Prozessphilosophie

Geburtsrecht ist, heil und ganz zu sein. Doch durch belastende Erlebnisse verlieren Menschen Teile ihres Selbst, ihrer Essenz, ihrer Energie. Das hat vielfältige Auswirkungen auf ihre Entität, ihre Beziehungen und letztlich auch auf ihre Gesundheit. Bestehende Lösungsmöglichkeiten (zum Beispiel Therapien) dienen vor allem dem Versuch, diesen inneren „zerstörten Zustand zu managen“. Wie jedoch können die Teile möglichst einfach zurückkommen, damit Menschen wieder ganzer und damit resilienter bzw. energetisch souveräner werden? Diese Frage beschäftigt mich seit meiner Jugend.

Erste Überlegungen begannen in den 70er-Jahren durch die Lektüre von Sigmund Freud und Carl G. Jung. Später kamen weitere Erkenntnisse hinzu, darunter von Hannah Arendt (1986) und Arno Gruen (2000), insbesondere auch in Bezug auf die gesellschaftlichen Auswirkungen des Verlusts von Selbst.

Beginn mit Kunst

Die Arbeit mit Intrasonanz bzw. Creative Spiritual Care entstand aus Kunst heraus (ulrikestreckplath.de). Die initialen Werke bestehen aus heller und dunkler Wolle, Holz oder Stahl und Brennnesselgarn. Sie thematisieren Leid versus Geborgenheit in der Geschichte der Menschheit. Die Inspiration für Materialwahl, Formensprache und Thematik erhielt ich durch einen sehr starken spirituellen Impuls im Jahr 2007, etwa ein Jahr nach der Geburt meines fünften Kindes und einer damit verbundenen Nahtoderfahrung.

Die archaischen Figuren zeigen ein stilisiertes Gesicht mit einem T, das einem Betrachter zufolge dem hebräischen Buchstaben Taw ähnelt, der Mensch, Leben und Kreuz bedeutet. Dies war mir zunächst gar nicht bewusst. Überrascht hatten mich allerdings bereits bei der ersten Ausstellung im Jahr 2009 die unerwartet starken Reaktionen der Betrachtenden: von Weinen über tiefes Berührtsein bis hin zu Lachen.

Psychologinnen erklärten mir während des Aufbaus einer Ausstellung im Jahr 2010, dass die fehlenden Münder der Figuren den Betrachtenden Raum bieten, mit ihrer eigenen inneren Verfasstheit in Resonanz zu gehen. Dies führe zu den starken emotionalen Reaktionen, und zwar entsprechend der Bereitschaft der Menschen, sich mit dem, was die Kunstwerke in ihnen auslösen, zu beschäftigen oder nicht. In jedem Fall, so die Expertinnen, sei es gut, so ein archaisches Gesicht nur ein Mal gesehen zu haben. Dies setze in den Menschen nachhaltig etwas in Gang, und das sei gut.

Seit 2012 veranstalte ich jährlich die „Kollektive Performance“ mit 45 lebensgroßen Figuren aus Filz und Stahl, die an einen Todesmarsch im März 1945 erinnern (kzadlerwerke.de). Mehrere Teilnehmende berichteten unabhängig voneinander, dass das Berühren und Tragen der Figuren „irgendwie Frieden“ in ihnen bewirkte. Das brachte mich zu der Frage, wie ein „in Frieden bringen“ ohne künstlerische Vehikel möglich wäre.

Zusammenfügungen

Im Jahr 2014 erhielt ich einen weiteren Impuls, den ich Audition nennen möchte und in der sich der Satz formte: „Bedingungslose Liebe bringt verlorene Seelenanteile zurück.“ Gefolgt von einer Vision, bei der sich dunkle und helle Teile einer zerrissenen Filzfigur zügig zu einer ganzen formierten. Als würden die Teile an einem unsichtbaren Faden durch eine „von oben“ kommende und zugleich nach oben aufrichtende Essenz, eine Art Quelle, zusammengefügt. Dabei wandelten sich die dunklen in helle Filzteile und zwischen den zuvor einzelnen Teilen waren keine Nahtstellen zu sehen. Als ganze, mit der von oben kommenden und zugleich nach oben aufrichtenden Quelle verbundene Wesen waren diese in der Lage, weiteren einzelnen Filzteilen den Impuls zu geben, sich mit dieser Essenz, dieser Quelle zu verbinden und so zu ganzen Figuren zusammenzufinden.

Eine von oben wirkende Quelle, die ganz macht – verbunden mit der Botschaft, diese aktiv zu nutzen. Von 2014 bis 2018 schrieb ich drei musikalische Bühnenwerke (Kinder des Lichts, 2015; Reformation 2.1 – Apocaluther, 2016; TABOE – To All Babies On Earth, 2018), um zu eruieren, wie Gesellschaft, Theologie und Kirche auf diese „Idee“ reagieren würden. Das Ergebnis war positiv.

Gesucht: Selbstverständliche Lebenskunst

Parallel begann ich mit praktischer Forschung und Entwicklung einer künstlerisch-kreativ-spirituellen Herangehensweise für innere Arbeit, die weder Produkt noch Methode oder gar Therapie sein sollte. Sondern ein rationales Tun sein, eine selbstverständliche Lebenskunst, um Teile des Selbst im Alltag zurückzuholen. Schließlich gehen diese ebenso alltäglich verloren.

Ziel war also eine universell nutzbare Möglichkeit, anschlussfähig an Wissenschaft – und zugleich für Laien anwendbar. Ich führte viele Gespräche mit Experten aus Theologie, Soziologie, Psychologie, Medizin sowie anderen Disziplinen und befasste mich intensiv mit Fachlektüre (Eliade, 1957; Gruen, 2000; Hebeisen, 2009; Hofmann & Heise, 2017; Hontschik, 2006; Schaef, 1989; Utsch, 2021 und weitere). Dazu floss Know-how aus meiner Tätigkeit als Texterin und Konzeptionerin für vor allem das Gesundheitswesen, Nachhaltigkeit und Digitalisierung in die Entwicklung mit ein.

Idee für „direktes Infriedenbringen“ war, Worte aus Liturgie und Bibel „beim Wort“ zu nehmen, darunter „Am Anfang war das Wort …“ (Joh 1, 1-4); „sprich nur ein Wort, so wird meine Seele gesund“; und „Bittet, so wird euch gegeben; suchet, so werdet ihr finden; klopfet an, so wird euch aufgetan.“ (Mk 7,7). Entsprechend experimentierte ich mit Formulierungen, zu sprechen im Bewusstsein des natürlichen Verbundenseins mit der vertikalen Quelle – aber, und das ist mir sehr wichtig zu betonen: ohne konkret religiösen oder konfessionellen Bezug. Statt dessen einfach Worte verstanden als Bewusstsein schaffende Informationen.

Praktisch erforscht und entwickelt

Die Vision der wieder zusammenkommenden Filzteile hatte zudem dazu geführt, die inneren Stellen, an denen Anteile des Selbst abhandengekommen waren, optisch gleichzusetzen mit „Archetypen“ (Jung 1919; Jung 1990) und diese en bloc frei und in Frieden zu geben . Auf dass die verlorenen Anteile des Selbst, die eigentlich dort hineingehören, zurückkehren können. Dies stellte ich damals in schwarz-weißen Zeichnungen dar. Dabei zeigte sich in der praktischen Arbeit, dass diese Teile „zu groß“ zu sein schienen, als dass diese einfach so durch Sprache komplett hätten in Frieden gebracht werden können.

Das brachte mich auf die Idee, ob die sich als Archetypen gruppierenden Teile eigentlich Konglomerate unterschiedlicher Abspaltungen von Selbst sind und sich in kleinere Teile separieren lassen. Das führte schließlich dazu, die verlorenen Teile des Selbst kreativ immer kleiner zu definieren bzw. zu sehen. Dazu kam die Berücksichtigung aktueller Erkenntnisse aus zum Beispiel den Neurowissenschaften, der Humangenetik und der Entwicklungspsychologie u.s.w., wie dies sinngemäß auch Christian Roesler fordert (Roesler, 2014).

Neu sehen, was ist

Weitere Inspirationen zur Funktion des Bewusstseins kamen durch die parallelen Entwicklungen im Bereich der Digitalisierung und vor allem der Künstlichen Intelligenz sowie Arbeiten im Bereich Text/Konzept zu dieser Thematik, für technische Branchen sowie für unterschiedliche Bereiche des Gesundheitswesens, von Pharma bis Versicherung. Die verlorenen Anteile zeigten sich um so leichter handhabbar, je mehr sie als reine Informationen wahrgenommen wurden, bis hin zu Buchstabenebene und kleiner.

Damit änderte sich die zeichnerische Darstellung: Statt die verlorenen Teile als dunkle Stellen anzumalen, ging ich dazu über, Teile aus einer simplen Papierfigur auszureißen, nach dem Motto: Weder für die Liebe noch für die Seele gibt es bislang Messgeräte oder bildgebende Verfahren. Allerdings ist die Kunst in der Lage, Seelenzustände zu zeigen und zu beschreiben.

So entstand die Reißübung (intrasonanz.de), durch die Menschen auch tiefste innere Verletzungen sichtbar und berührbar machen können. Wiederum parallel zu dem in den vorherigen Punkten Dargestellten erfolgte die Entdeckung des sogenannten „Seelenschwankens“ (soulsway). Darüber hinaus entwickelte ich zahlreiche neue Begrifflichkeiten, von Intrasonanz bis zum Dahinter der Zei. Denn um gut arbeiten zu können, benötigt das Bewusstsein sinnvolle neue Formulierungen.

Anschluss an die Wissenschaft

2017 begann ich mit der Arbeit mit Mentees. Drei Jahre später folgte eine Veröffentlichung im Internet (intrasonanz.de). 2022 erschien der erste Band einer als Kunstprojekt und zugleich auf wissenschaftliche Anschlussfähigkeit angelegten Buchreihe (Bibliothek der Intrasonanz, 2022). Diese Publikation leitete meine Suche nach jemandem ein, der seriös zur Spiritualität forscht.

Durch den Kontakt zu Eckhard Frick ergab sich die Verbindung zum Feld Spiritual Care. Während der Erarbeitung eines Kooperationsprojekts (MUTASPIR-Handreichung, 2023) entstand die Bezeichnung Creative Spiritual Care (CSC). Eine alltagstaugliche Drei-Schritte-Variante von CSC findet sich seit Februar 2023 in einer Handreichung für Einrichtungen des Gesundheits- und Sozialwesens (Frick et al., 2023). Im gleichen Jahr erschien ein erster Erfahrungsbericht in der Zeitschrift Spiritual Care (2023; 12(3): 267-270). Zudem hielt ich Workshops auf der Tagung der Internationalen Gesellschaft für Gesundheit und Spiritualität e. V. (IGGS).

Seither bin ich auf Fachtagungen unterschiedlicher wissenschaftlicher Disziplinen präsent, auch mit Postern, Workshops und Vorträgen. Im Januar 2025 führte intensive Beschäftigung mit weiteren Fachdisziplinen dazu, CSC als eigentlich praktische Prozessphilosophie zu erkennen.

In einem Bild erklärt

Um CSC in eine Metapher zu bringen: Wie klärt man einen Fluss? Nicht, indem man entlang des Flusses Filter einbaut. Sondern indem man aus der Quelle klares Wasser in diesen fließen lässt, während man an ihm entlang nach und nach das herausholt, was ihn trübt oder seinen Fluss hindert. Sich dessen bewusst seiend, dass entlang des Flusses andere ungefragt und permanent immer wieder etwas hineinwerfen werden; und doch ist die Quelle aus der Vertikalen kraftvoller als alles, was aus der Waagerechten des Lebens in den Fluss gelangen kann.

Referenzen

Arendt, H. (1986). Eichmann in Jerusalem. Ein Bericht von der Banalität des Bösen. Piper Verlag.

Bibel. (2017). Die Bibel nach Martin Luthers Übersetzung. Deutsche Bibelgesellschaft.

Eliade, M. (1957). Das Heilige und das Profane. Rowohlt.

Frick, E. (2023). Gerufen oder nicht gerufen? Was die Analytische Psychologie zur Forschung über Spiritualität beiträgt [Vortrag]. 9. Forschungstag INFAP3 „Oh my God!“. Forschungsansätze zu Spiritualität in der Analytischen Psychologie.

Frick, E., & Linseisen, E., & Streck-Plath, U. (2023). MUTASPIR-Handreichung für Einrichtungen des Gesundheits- und Sozialwesens. Hochschule für Philosophie München und Professur für Spiritual Care und psychosomatische Gesundheit (Klinikum rechts der Isar der TU München).Retrieved July 31, 2024 from https://www.mutaspir.net/

Gruen, A. (2000). Der Fremde in uns. Klett-Cotta.

Hebeisen, K. B. (2009). Spurensuche nach dem Ursprung der Kunst. Von den Zeichen der Natur zu den Zeichen der Kunst. Haupt Verlag.

Hofmann, L., & Heise, P. (2017). Spiritualität und spirituelle Krisen. Handbuch zu Theorie, Forschung und Praxis. Schattauer.

Hontschik, B. (2006). Körper, Seele, Mensch. Versuch über die Kunst des Heilens.  Suhrkamp.

Intrasonanz.de (2020). Ganz werden, ganz einfach | Become whole, with ease. Retrieved June 16, 2024, from https://intrasonanz.de/en/it-took-a-piece-of-me-is-a-clue/

Jung, C. G. (1919). Instinct and the Unconscious. British Journal of Psychology, 10(1), 15–23. https://doi.org/10.1111/j.2044-8295.1919.tb00003.x

Jung, C. G. (1990). Die Beziehungen zwischen dem Ich und dem Unbewussten. DTV.

Kzadlerwerke (2012). 24-29-3-45 Kollektive Performance. Gedenken an den Todesmarsch Frankfurt-Hünfeld. Retrieved June 16, 2024, from https://kzadlerwerke.de/

Peters, C. H., & Schulz, P. (1990). Resonanzen und Dissonanzen. Hartmut Rosas kritische Theorie in der Diskussion. Transcript.

Roesler, C. (2014). Das Archetypenkonzept C.G. Jungs im Lichte aktueller Erkenntnisse aus Neurowissenschaften, Humangenetik und Kulturpsychologie. Retrieved Juni 16, 2024, from https://journals.openedition.org/rg/1749?lang=de

Schaef, A. W. (1989). Escape from Intimacy. Harper & Row.

Schwarz, R. (2015). Martin Luther – Lehrer der christlichen Religion. Mohr Siebeck.

Streck-Plath, U. (2015). Die Kinder des Lichts, Mehr-Generationen-Singspiel. Strube Verlag.

Streck-Plath, U. (2016). Reformation 2.1. – Apocaluther. Strube Verlag.

Streck-Plath, U., & El-Ruheibany, N. (2018). TABOE – To all babies on earth. Strube Verlag.

Streck-Plath, U. (2022). Bibliothek der Intrasonanz. Von wegen Depression, Sucht & Co. (2022), Das Licht füttern (2022), Vergiss Narziss (2023), Träume ziehen Blüten gleich (2023). USPs Seelenfutter.

Streck-Plath, U. (2023). Retrieving the self. To exert the birthright to being healed and whole, or: Only say the word. Spiritual Care, 12(3), 267–270. https://doi.org/10.1515/spircare-2023-0004

Ulrikestreckplath.de (2022). Artwork | Installation | Performance. Retrieved June 16, 2024, from https://ulrikestreckplath.de/

Utsch, M. (2021). ABC der Weltanschauungen. EZW. von Loyola, I. (2023). Die Exerzitien. Johannes Verlag Einsiedeln.e.